Von Adina, 11. Juli 2012

Uniformen für Hungerlöhne: Die Textilindustrie in Mazedonien

Deutsche, österreichische und Schweizer Berufsbekleider „Made in Europe“: Polizisten tragen sie, Krankenschwestern, Pfleger, Ordnungsamtsangestellte, Feuerwehrleute, KöchInnen, SoldatInnen, Bus- und BahnfahrerInnen – fast jeder zweite Berufstätige trägt Dienstkleidung. Es geht um öffentliche Aufträge in Millionenhöhe allein für Hemden, Blusen und Jacken der neuen sächsischen Polizeiuniformen. Doch wie und wo wird diese Berufsbekleidung hergestellt? Die Clean Clothes Campaign wollte mehr wissen.

Schlaglichter der Textilindustrie in Mazedonien:

  • Die Republik Mazedonien in Südwesteuropa ist ein wichtiger Produktionsstandort für Berufsbekleidung vor allem für deutsche Auftraggeber.
  • Die Bekleidungsindustrie trägt entscheidend zu Exporten, Wirtschaftsleistung und Beschäftigung des kleinen Balkanlandes nördlich Griechenlands bei.
  • Der gesetzliche Mindestlohn in Mazedonien ist mit 101 Euro/Monat sogar tiefer als in China und Indonesien und deckt weniger als 20 Prozent eines Existenzlohns. Trotzdem erhalten einige Näherinnen nicht einmal diesen Lohn. Daneben gibt es diverse andere Menschenrechtsverletzungen.

Schuften unter Mindestlohnniveau

Fabrik mit Näherinnen„Mein Lohn liegt zwischen 5.000 und 7.000 Denar“, berichtet Juliana (Namen geändert), die gerade Uniformen für eine westeuropäische Armee herstellt. Für eine 46 Stundenwoche sind das zwischen 80 und 110 Euro. Bezogen auf eine reguläre Arbeitswoche von 40 Stunden liegt dieser Lohn knapp 10 Euro unter dem gesetzlichen Mindestlohn von 101 Euro für 2012. Sie verdient damit nicht einmal den sechsten Teil eines Basis-Existenzlohnes. Diese untere Grenze eines Existenzlohnes – living wages – geben Menschenrechtsgruppen in der Republik Mazedonien mit etwa 39.000 Denar oder 625 EUR an.

„In der Fabrik ist es sehr kalt, ich muss 4-5 Kleidungsstücke übereinander anziehen. Wir sitzen an den Nähmaschinen und fühlen den kalten Luftzug von den Fenstern her. … Wenn der Chef sagt, dass wir einen Auftrag fertig machen müssen, bleibt uns nichts anderes übrig als weiter zu arbeiten. Mein Mann ist wegen einer Behinderung arbeitsunfähig. Mein Sohn ist arbeitslos, seine Frau arbeitet wie ich in der Fabrik, und sie haben ein Kind. Meine Tochter ist Lehrerin, findet aber keinen Job. Mit den zwei Einkommen haben wir für sechs Personen insgesamt 12.000 Denar (193 Euro) pro Monat zur Verfügung. Irgendwie geht es. Ich bete, dass ich nicht krank werde, da sonst mein Gehalt gekürzt wird“, so Liljana. Emilia, deren Mann ebenfalls arbeitslos ist, fügt an: „Es ist gut, dass wir an den Sonntagen meist nicht arbeiten müssen, dann kann ich den Haushalt machen“. Und Biljana, eine 26jährige, dreifache Mutter ergänzt: „Ich bin froh, dass ich in der Fabrik arbeiten kann, denn mit der Anstellung sind ich und meine Kinder wenigstens krankenversichert.“ Die drei Frauen wurden im Februar/März 2012 zusammen mit 44 andern Personen für eine Recherche der CCC und ihrer Partnerorganisationen befragt. Alle drei sind bei Zulieferern von deutschen, österreichischen und schweizer Berufsbekleidungsfirmen angestellt.

Produkte, die Liljana, Emilia und Biljana hergestellt haben, finden wir in unseren Alltag: Mazedonien hat sich als Produktionsland für Berufsbekleidung einen Namen gemacht und stellt u.a. Uniformen für die Polizei und die Armee her, produziert Berufsbekleidung für Krankenhausangestellte, Fluglinien oder Telekommunikationsunternehmen. Die räumliche Nähe von Mazedonien zu Deutschland, Österreich und zur Schweiz ist attraktiv; Transportkosten werden gespart, (Qualitäts-)Kontrollen können einfacher durchgeführt werden und Europa hat als Produktionsregion einen besseren Ruf als Asien. Mazedonien verfügt zudem über lange Erfahrung als Produktionsland von Bekleidung, kann Stabilität und verlässliche Qualität bieten und hat eine gut ausgebildete Belegschaft. Der grösste Vorteil liegt aber wohl bei den Tiefstlöhnen. Das tiefste erhobene Gehalt beträgt gerade mal 64 Euro monatlich, das höchste 322 Euro – immer noch nur gut die Hälfte eines Basis- Existenzlohnes. In vier der untersuchten fünf Fabriken werden die Frauen zu Anstellungszeiten zwischen 3 und 6 Monaten unter Vertrag genommen. Damit sind ihnen nicht nur Gehaltserhöhungen oder beispielsweise Mutterschaftsurlaube verwehrt.

Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen

Lebensperspektiven lassen sich so nicht entwickeln. Den Fabrikmanagern und Einkäufern gibt dies vollste Flexibilität. Die Frauen leisten regelmäßig samstags Überstunden, denn die Produktionsnorm ist sonst nicht zu schaffen. Bei „eiligen Aufträgen“ muss auch sonntags oder abends weiter gearbeitet werden. Da die Frauen Angst vor Lohnkürzungen oder anderen Repressionen haben, lehnen sie Überstunden nicht ab. Ein weiteres gravierendes Problem sind die Kurzzeitarbeitsverträge. Drei- bis sechsmonatige Anstellungen werden exzessiv genutzt. So kann niemand planen; die Frauen können keine Anwartschaften durch Betriebszugehörigkeit wie z.B. Mutterschaftsurlaub oder Lohnerhöhungen erhalten. Darüber hinaus treten gängige Probleme beim Arbeits- und Gesundheitsschutz auf: Ungenügende Ventilation, Heizung bzw. Klimatisierung, keine verstellbaren Arbeitsstühle, keine gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzvertretungen. Keine der untersuchten Produktionsstätten verfügte zudem über eine Beschäftigtenvertretung oder gewerkschaftliche Organisation. Die ArbeiterInnen haben damit keine kollektive Stimme, um ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen zu beeinflussen. Mit einer offiziellen Arbeitslosenrate von 30 – 40 Prozent und einer Armutsquote von ebenfalls 30-40 Prozent über die vergangenen 10-15 Jahre sind die raren Jobs begehrt und die Näherinnen oft die einzigen in der Familie, die über ein krankenversichertes Einkommen verfügen.

Mazedonien hat nur als fairer Standort eine Zukunft

Die Bekleidungsindustrie als entscheidendes Standbein bezüglich Export, Arbeitsplätze und Bruttoinlandsprodukt könnte in Mazedonien eine Chance sein, um dem Land Entwicklungspotential und den Menschen eine Perspektive für ein Leben jenseits der Armut zu bieten. Hiesige Berufsbekleidungsfirmen und Beschaffungsstellen sollten in Mazedonien als Produktionsstandort investieren – aber zu fairen Bedingungen für alle.

Ausbeutung darf nicht mit Steuergeldern finanziert werden! Ein großer Teil der Berufsbekleidung wird von der öffentlichen Hand und mit unseren Steuergeldern beschafft. Die CCC wollte wissen, inwiefern diese Beschaffungsstellen darauf achten, dass die eingekauften Produkte unter fairen Bedingungen hergestellt werden. Dazu wurden in der Schweiz 27 Berufsbekleidungsfirmen sowie 27 öffentliche Beschaffungsstellen (Bund, Kantone, Gemeinden, Spitäler) und 10 private Beschaffungsstellen von grossen Firmen befragt. In der Schweiz reagierten darauf immerhin drei Viertel der Beschaffungsstellen und rund die Hälfte der befragten Firmen. In Sachsen und Nordrhein-Westfalen antwortete nur ein Bruchteil aller befragten Kommunen. Insgesamt zeigt sich eine verschwiegene Branche, die über viel Ausbaupotenzial bezüglich der Beachtung von Menschenrechten bei der Herstellung verfügt.

Für die Beschaffung durch die öffentliche Hand gibt es gesetzliche Spielregeln, die gegenwärtig im Bundesland Sachsen überarbeitet werden. Die CCC und SACHSEN KAUFT FAIR setzen sich für die Integration sozialer Kriterien in das Gesetz ein – damit Uniformen nur noch fair beschafft werden.

Livona dankt Christa Luginbühl (Clean Clothes Campaign Schweiz) und Dr. Bettina Musiolek (Clean Clothes Campaign D und SACHSEN KAUFT FAIR, ein Projekt des Entwicklungspolit. Netzwerk Sachsen ENS) für diesen Gastbeitrag. Er wird im August im Rundbrief der Kampagne Saubere Kleidung veröffentlicht.

5 Antworten auf Uniformen für Hungerlöhne: Die Textilindustrie in Mazedonien

  1. Kira N. sagt:

    Vielen Dank für diesen Beitrag über die Textilindustrie in Mazedonien. Interessant, dass der Mindestlohn dort sogar noch niedriger als in China ist. Ich finde es erschreckend, was in der Textilindustrie teilweise geschieht und lege deshalb Wert darauf, nur noch mit nachhaltigen Garnen zu arbeiten.

  2. Christian sagt:

    Guten Tag,
    ich produziere seit langem in Mazedonien. Der Bericht ist in weiten Teilen Innhaltlich falsch. Er berücksichtigt nicht die tatsächlichen Gehaltsstrukturen, die anders sind als in Deutschland. Ich kenne auch keinen Betrieb in dem so niedrige Löhne gezahlt werden. In Mazedonien herscht Fachkräftemangel. Die Löhne steigen dort stetig. Unwürdige Arbeitsbedingungen kenne ich auch nicht. Das Foto im Bericht sieht genauso aus wie in einem Nähbetrieb auf der Schwäbischen Alb. Die scheinbare Enge ist ein betriebliches Erfordernis.

    1989 hatten wir in Deutschland tausende gut ausgebildete Näherinnen. Das war politisch nicht gewollt, die Betriebe wurden von der Treuhand abgewickelt. Heute gibt es den Beruf in Deutschland nicht mehr. Wo soll man denn nun Nähen?
    Ich schlage vor: erst mal ins eigene Label gucken und dann Steine schmeissen.

    • Birgit sagt:

      Hallo Christian, danke für deinen ausführlichen Kommentar. Er bezieht sich auf einen Gastbeitrag aus 2012, demn wir leider nicht nach recherchieren konnten. Es ist auch richtig, dass bis 1990 insbersondere in Ostdeutschland viele Menschen in der Textilbranche tätig waren. Meines Wissens entstehen genau dort wieder Nähereien, die für verschiedene ,oft nachhaltige, Label arbeiten.
      Deinen letzten Satz vestehe ich leider nicht.

  3. Pingback: Unfaire Mode bei Olympia | Livona - Der Bio-Blog

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