Von Adina, 9. April 2012

Stevia als gesunde Alternative zum Zucker?

Hat Stevia das Potential den Nahrungsmittelmarkt zu revolutionieren? Diese Frage taucht in der Tages- und Fachpresse in den letzten Monaten vermehrt auf. Die Meinungen und Argumente sind vielfältig, widersprüchlich, bis extrem. Das Alles hilft dem Verbraucher bei der Einschätzung des neuen „Wunderkrauts“ nicht viel weiter. Es sei denn, er beliest sich eifrig und tagesaktuell, denn gerade im Moment überschlagen sich die Meldungen zum Thema Stevia. Doch was steckt nun wirklich hinter E-960, der „grünen Süße“?

Andechser Bio-Jogurt Maracuja-Banane mit SteviaAls Andechser im September 2011, nach langem Rechtsstreit, Produkte mit Stevia auf den Markt brachte, sahen wir uns bei Livona zum ersten Mal intensiv mit diesem Thema konfrontiert. Auf der Biofach im Februar erfuhren wir mehr zur Entwicklung der Produkte. Demnach hat es über drei Jahre gedauert, bis es der Andechser Molkerei Scheitz gelungen war, mit der feinherben Note des Stevia-Tees tatsächlich zwei Sorten schmeckenden Joghurts herstellen zu können. Hier wurde also mit Stevia-Tee experimentiert – dem einzigen Produkt des Süsskrauts, dass im vergangenen Jahr auf dem EU-Markt zu finden war. Heute nun musste ich feststellen, dass inzwischen auch Discounterkunden, nicht nur Produkte mit Stevia, sondern auch den Süsstoff in Pulver- und Tablettenform erwerben können. Grund genug, genauer nach zu fragen.

Stevia-Inhaltsstoffe als Lebensmittelzusatz in der EU zugelassen

Seit dem 2. Dezember 2011 dürfen Steviolglycoside, Süßstoffe aus Stevia, als Süßungsmittel bei der Herstellung von Lebensmitteln in der EU verwendet werden, so entschied u.a. das Bundesminsterium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Deutschland.

In den USA und Japan sind industrielle Stevia-Produkte schon länger auf dem Markt, während in der EU wegen der fehlenden Lebensmittelzulassung Stevia nur als Kosmetik, zum Beispiel als Badezusatz, verkauft werden durfte. Der erste Antrag auf Zulassung der Stevia-Blätter getrocknetPflanze Stevia rebaudiana und ihrer getrockneten Blätter als neuartiges Lebensmittel, war 1997 in Belgien eingereicht worden. Erst jetzt liegen dem Ministerium genügend Nachweise zur Sicherheit süß schmeckender Stevia-Inhaltsstoffe, die als Lebensmittelzusatzstoff Verwendung finden dürfen, vor. Gesetzlich festgelegte Verwendungsbedingungen stellen sicher, dass der für diese Zusatzstoffe festgelegte ADI-Wert (acceptable daily intake; akzeptable tägliche Aufnahmemenge) nicht überschritten wird. Bei Steviolgycosiden wurde dabei also ebenso verfahren wie bei anderen Süßungsmitteln. Die unbedenkliche tägliche Höchstdosis entspricht demnach 4 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Was gerade bei Kindern, wenn sie viele Stevia-Produkte essen bzw. trinken, leicht überschritten werden kann.

Was höchst bedenklich stimmt ist die Tatsache, dass das aus der Stevia-Pflanze gewonnene Extrakt ein rein industriell, wenn auch nicht vollkommen synthetisch, denn der Rohstoff ist pflanzlich, hergestelltes und aufgearbeitetes Produkt ist und es sich dabei ebenso wenig um ein klassisches Naturprodukt handelt, wie bei allen Süßstoffen. Deshalb darf auch mit dem Slogan „natürliche Süsse“ offiziell nicht geworben werden.

Verwendung der getrockneten Stevia-Pflanze verboten

Die Verwendung des Naturprodukts, d.h. der Blätter und der Anbau der Pflanze bleibt in der EU weiterhin verboten, „denn die Blätter können je nach Herkunft unterschiedliche Anteile an süßenden Stoffen, wie auch an Begleitstoffen enthalten. Eine Sicherheitsbewertung kann allerdings nur dann vorgenommen werden, wenn die genaue Zusammensetzung bekannt ist“, so die Verbraucherzentrale Schleswig Holstein.

eine Flasche Fritz-KolaTrotz dieser Bedenken, ist die Nachfrage schon jetzt enorm. Die Industrie wirbt mit den klaren Vorteilen ihrer Stevia-Produkte. Mit dem Werbespruch „Die fetten Jahre sind vorbei“ bewirbt der Getränkehersteller Fritz-Kola, als einer der Pioniere in Sachen Stevia in der EU, für ein schon im Dezember 2011 auf den Markt gebrachtes Getränk mit dem „neuen“ Süßungsmittel. Und in der Tat: Stevia ist süßer als Zucker (etwa 300 mal so intensiv) hat aber keine Kalorien und gilt als absolut zahnfreundlich und zudem sogar noch als karieshemmend. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Zahnärztliche Studien konnten zwar beweisen, dass Stevia zahnschonender als Kristallzucker oder Honig sei, aber gar von Zahnpflege zu sprechen sei übereilt, teilte die Landeszahnärztekammer Hessen mit.

Mit Stevia Kapital schlagen

Aus der Behauptung, Stevia sei gut für die Zahngesundheit, wolle die Industrie lediglich Kapital schlagen. „Während normaler Zucker den kariesverursachenden Bakterien Nahrung bietet und somit die Produktion zahnschädigender Säuren verursacht, stellt Stevia-Süßstoff keine geeignete Nahrungsquelle dar. Insofern ist Stevia (wie jeder Süßstoff) zahnschonender als Kristallzucker oder Honig. (…) Es dürfte kaum jemand geben, der Süßstoffe pur konsumiert. Jedes mit Zuckeraustauschstoffen gesüßte Lebensmittel, z.B. Schokolade mit Stevia, enthält weitere Bestandteile, die zur Bildung schädlichen Zahnbelags führen können und damit das Risiko, Karies zu bekommen, erhöhen.“

Das gewinnträchtigste Verkaufsargument ist der Kaloriengehalt, der bei nahe Null liegt. In Limonaden, Joghurt, Brotaufstrichen oder Süßigkeiten findet sich die Süße ohne Kalorien bereits und es ist davon auszugehen, dass der Marktanteil noch kräftig zulegt. Zentis nutzt Stevia-Produkte um die Linie „Leichte Früchte“ mit geringem Kaloriengehalt zu bewerben und auch Marktführer Schwartau geht mit Entsprechendem auf den Markt.

Dem völligen Austausch von Zucker durch Süßstoffe sind allerdings (noch) deutliche Grenzen gesetzt. Denn Zucker ist nicht nur süß, sondern sorgt auch dafür, dass Dinge knusprig schmecken, d. h. er hat auch andere wichtige Eigenschaften, die ihn zum Beispiel für Backwaren unersetzlich machen.

Die Herausforderungen der Verwendung sind nicht die einzige Hürde für den Einsatz von Stevia. Noch kann der Preis mit dem von Zucker nicht mithalten. Aber Experten gehen schon heute davon aus, dass die Preise für den hauptsächlich in China, Bolivien und Argentinien hergestellten Rohstoff bald fallen werden. Zudem klagt die Industrie über einen Zuckerengpass und steigende Kosten – eine Nische, die Stevia füllen könnte.

Jahrtausende-alte Kenntnisse

Die Stevia-Pflanze, (Honig- oder Süßkraut), gehört wie der Löwenzahn, der allerdings nicht süß schmeckt, zur Familie der Korbblütengewächse und stammt aus Paraguay, wo die Blätter schon seit Jahrtausenden zum Süßen verwendet werden. Die genügsame und recht anspruchslose Pflanze gedeiht auch an schattigen Standorten und kann so ideal als Begleiter beim Anbau von Kaffee oder Bananen dienen. Dennoch wird Stevia häufig in Monokultur angebaut.

Dass die Pflanze regelmäßig zurückgeschnitten und mehrmals im Jahr abgeerntet werden kann, ist ein Vorteil, der vielen Bauern, die zur Zeit auch noch vom relativ hohen Preis profitieren, zu Gute kommt. Allerdings ist jetzt schon absehbar, dass es schwierig wird, die explodierende Nachfrage unter den jetzigen Bedingungen zu decken.

Viele Süßstoffe sind in der EU nicht erlaubt

Stevia ist übrigens nicht der einzige Zuckerersatzstoff, der in der EU noch nicht zugelassen ist. Alitam süßt bis zu 2000 mal stärker als Zucker und besteht aus den Eiweißbausteinen L-Asparaginsäure und dem D-Alanin. Brazzein besitzt 500-2000-fache Süßkraft und wird als Eiweißbestandteil der westafrikanischen Lianenpflanze Pentadiplandra brazzeana gewonnen. Dulcin ist ein Harnstoffderivat, dass 200 mal süßer ist als Saccharose und wird rein synthetisch produziert. Hernandulcin kommt im aztekischen Süsskraut vor und hat einen bitteren Beigeschmack. Doch dies nur beispielhaft, es dürfte klar geworden sein, dass wir hier noch Einiges, mehr oder weniger Revolutionäres, zu erwarten haben.

4 Antworten auf Stevia als gesunde Alternative zum Zucker?

  1. Mit biologisch hat das Stevia , das bei uns zu erhalten wenig zu tun. Soweit ich gelesen habe, wollen sich Monsanto und Coca-Cola den weltweiten Markt aufteilen, und darauf zielen wohl auch die EU-Bestimmungen hin und es werden dementsprechend nur bestimmte Sorten zugelassen. Den vielen Kleinbauern, die bisher Stevia angebaut haben, bleibt der Markt deshalb verschlossen bzw. entzieht ihnen auch auf weitere Sicht die Grundlagen.

    • Birgit sagt:

      Ich sehe industriell hergestellten Süßstoff aus Stevia auch sehr kritisch. Zum Einen hat dieser mit dem Tee aus Stevia nicht mehr viel zu tun, zum Anderen gebe ich Ihnen Recht, dass die Kleinerzeuger sicher wieder auf der Strecke bleiben, was der Philosophie der ökologischen und fairen Landwirtschaft wiederspricht.

      • Lara sagt:

        Am besten ist es doch, wenn man Stevia selbst Anbaut. Ich bin mir sicher das die Industrie aus Stevia, das ja eigentlich gesund sein soll, eine ungesunde Chemiebombe machen wird und nur den Namen zu Werbezwecken verwendet wird. Wenn man Stevia selbst pflantzt, weiß man was man hat.

        • Adina sagt:

          Gibt es Tipps zum Steviaanbau? Kann ich die Pflanzen einfach so, aus dem Topf, verwenden? Da gibt es doch sicher Einiges zu beachten.

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